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Ich fühle mich schuldig!

Wie soll ich damit umgehen?

Dr. Peter Kobosil

Über das Thema „Schuld" ist schon viel gesprochen und geschrieben worden und der Umgang damit reicht von Leugnung und Verdrängung jeder Schuld bis hin zu einem hartnäckigen Festhalten eines endlosen Kreislaufes von Schuld und Sühne. Diese Diskussion soll hier nicht fortgesetzt werden!

Es geht hier vielmehr um eine praktische Auseinandersetzung, um die Tatsache, dass ich mich schuldig fühle und eine Lösung suche, um von dieser Belastung frei zu werden.

Schuldgefühle haben einen Sinn

Wenn ich mich schuldig fühle, wenn ein belastendes Gefühl in der Tiefe meiner Seele mich nicht zur Ruhe kommen lässt, dann sollte ich mich fragen, ob vielleicht doch nicht alles so in Ordnung ist, wie es für mich sein sollte.

Es gibt nichts Zufälliges und nichts Sinnloses, und so haben auch Schuldgefühle einen Sinn. Sie signalisieren, dass es an der Zeit ist, etwas zu überdenken und zu ändern, etwas zu einer größeren Reife zu bringen, zu vergeben, loszulassen oder wieder gut zu machen.

Nach humanistischer und christlicher Überzeugung hat der Mensch einen „guten" inneren Kern. Wir können auch sagen, dass das Gute aus dem göttlichen Erbgut besteht, aus unseren seelischen und geistigen Qualitäten, unseren Tugenden und Talenten, die in jedem Menschen liegen und die im Entfaltungsprozess unserer Persönlichkeit immer weiter entwickelt werden sollen.

Aber eine Tatsache ist auch die menschliche Unreife und die Charakterschwäche oder wie immer wir diese Unzulänglichkeiten ausdrücken möchten. In der Freiheit des Menschen liegt daher auch die Möglichkeit nicht gut zu sein, sondern etwas zu denken und zu tun, das verletzt, verwundet, verführt oder vergewaltigt, das Unbehagen schafft, Leid, Schmerz oder Verzweiflung - etwas, das wir wollen und tun und für das wir die Verantwortung tragen, woraus letztlich Schuld und Schuldgefühle resultieren.

Schuldgefühle entstehen aber auch durch Unterlassungen: Wenn wir aus Feigheit, Bequemlichkeit oder Trotz Leid nicht verhindern oder wenn wir durch Lauheit Talente und Fähigkeiten nicht einsetzen, um das Gute und Sinnvolle zu vermehren - oder wenn wir aus Gewohnheit, festgefahrener Überzeugung, traditioneller Erziehung nicht zu dem stehen, zu dem uns unsere Vernunft, unser Herz und unsere Sehnsucht drängen.

Die Schuldfrage, um die es hier geht, wird nicht vom Menschen beantwortet, sondern von einer höheren Instanz. Wir sind nicht schuldig oder unschuldig dadurch, dass uns Menschen für schuldig oder unschuldig halten, sondern es ist die grundlegende Ordnung des Lebens, die ordnende Kraft der Schöpfung oder des Schöpfers, die uns durch das Schuldgefühl einen Hinweis gibt, dass da etwas nicht stimmt. Wenn jemand von uns den Begriff „Schuld" aufgrund fragwürdiger Traditionen nicht mehr hören will oder kann, dann soll er ein anderes Wort dafür gebrauchen, doch der unbehagliche Seelenzustand wird sich dadurch nicht beeindrucken lassen, es sei denn, wir erledigen das, worauf uns die Schuldgefühle hinweisen - wir machen etwas wieder gut oder bringen etwas zu einer größeren Reife.

Das Ent-Schuldigen ist ein vielseitiger Prozess

Zweifellos gibt es die Schuld, und in unserem eigenen Interesse sollten wir sie auch als solche anerkennen – als Bestandteil des menschlichen Lebens, als Folge von menschlicher Schwäche und Unzulänglichkeit. Und welchen anderen Sinn sollten dabei die Schuldgefühle haben, als zu einer Tilgung der Schuld hinzuführen oder zu einer Wandlung des Schuldigen, durch die seine Schuld wieder aufgehoben wird! Viele gute Möglichkeiten sind denkbar, mit Schuld umzugehen, solange sie nur nicht bagatellisiert oder negiert wird. Denn Schuld kann nur bewältigt werden, wenn sie eingestanden wird, und wenn der Schuldige durch die Mahnung und Aufforderung seiner Schuldgefühle ein anderer wird.

Das Schuldigwerden und das Ent-schuldigen vollzieht sich, wie auch alles andere im menschlichen Bereich, als Prozess auf allen menschlichen Ebenen – auf der geistigen, seelischen und materiellen Ebene. Wenn ich zum Beispiel jemandem einen Geldschein entwende, so geht es nicht nur um die unerlaubte Aneignung fremden Besitzes, es geht auch um eine gewisse Missachtung der Würde des anderen, und es geht dabei darum, dass an mir Charakterschwächen offenkundig werden, seien es neidische oder ehrgeizige Züge oder ein Mangel an Genügsamkeit. - Und so ist auch die wirkliche Wiedergutmachung nicht nur mit der Rückgabe des Geldscheines abgetan. Es gehört die ehrliche Entschuldigung dazu und die angemessene Zuwendung, mit der die Verletzung der Würde wieder ausgeglichen wird. Und es gehört das Erkennen und Bekennen der eigenen Schwachstelle dazu und der gute Wille, an deren Überwindung zu arbeiten – alles in allem der Vorsatz, es besser zu machen: Erst mit diesem ganzheitlichen Reue- und Wiedergutmachungsprozess kann die Energie zu einer wirklichen Befreiung und Ent-Schuldigung erzeugt werden.

Es gibt immer eine Möglichkeit der Wiedergutmachung

Die naheliegende und einfachste Art, Schuld zu tilgen, ist die direkte Begegnung mit Menschen, die ich verletzt habe: Ich sehe meine Verfehlung ein, es tut mir leid und ich bringe mein Eingeständnis und meinen Vorsatz zum Ausdruck, etwas wieder gut zu machen und die Verletzung nicht zu wiederholen. Dieser komplexe Vorgang erfordert Selbstkritik, Ehrlichkeit und Demut und Mut zugleich, aber diese Kräfte sind notwendig, um die Atmosphäre zu reinigen und die Schuldgefühle aufzulösen.

Wie aber kann ich eine Schuld tilgen, wenn die Person, an der ich schuldig geworden bin, von mir nicht mehr erreichbar ist, weil sie gestorben ist, vielleicht sogar durch mein Dazutun, oder weil sie sich an einem mir nicht bekannten Ort aufhält. Die Erfahrung zeigt, dass auch unter diesen Umständen eine Wiedergutmachung möglich ist, vorausgesetzt ich berücksichtige Gesetzmäßigkeiten, die in der seelisch-geistige Ebene unseres Seins zum Tragen kommen: Nämlich die Tatsache, dass niemand von uns in seiner geistig-seelischen Persönlichkeit je vergehen kann. Jeder von uns lebt in einer feinstofflichen Ebene weiter und ist gedanklich und über das Gefühl weiterhin erreichbar. So fließt ihm die lösende Kraft zu, wenn ich mich ehrlich um einen Reue- und Wiedergutmachungsprozess bemühe, auch wenn ich jetzt meinen guten Willen anderen Menschen und anderen Situationen zugutekommen lasse, mit denen mich ein gleiches oder ähnliches Thema verbindet: Ich verletze nicht mehr, sondern helfe mit, Wunden zu heilen; ich handle nicht mehr leichtsinnig dem kostbaren Leben gegenüber, sondern ich versuche Leben zu schützen und zu fördern, wo immer ich dazu Gelegenheit habe. Ich bearbeite damit genau das Thema meiner Schuld. Und wer immer mit mir durch dieses Thema verbunden ist, dem kommen Kraft und Energie meines Bemühens zugute, wo immer er sich auch befindet – die Bindungen und Verbindungen, die zwischen mir und anderen geschaffen wurden, machen diese Berührungen möglich. Auf diese Weise lösen sich Schuldgefühle auf und mein Herz wird freier, und schließlich ganz frei von diesen Belastungen, das ist die Erfahrung von Menschen, die in tieferen Zusammenhängen denken und handeln können.

Schließlich wären noch jene Schuldgefühle zu nennen, deren wirkliche Ursachen wir nicht finden können. Auslöser sind meist kleine Verletzungen und Verfehlungen, die im alltäglichen Leben kaum zu vermeiden sind, die aber in keinem Verhältnis zu den oft mächtigen und hartnäckigen Schuldgefühlen stehen. Ganz sicher haben auch sie ihre Geschichte, auch wenn sie uns nicht bewusst ist. Nicht immer ist es aber sinnvoll, diese Geschichte durch Wühlen in der Vergangenheit hervorzuholen. Besser ist es, den Blick gleich in die Zukunft zu richten und nach dem Thema Ausschau zu halten, das immer wieder mit bestimmten Schuldgefühlen im Zusammenhang steht. Genau dieses Thema ist es dann auch, das mir die Lösung bringen kann: Kleine Lügen und kleine Verletzungen können bei manchen Menschen oft bohrende Schuldgefühle auslösen. Das deutet sehr auf Geschichten hin, die mit Unwahrheit zu tun hatten und mit dementsprechenden Verwundungen – unsere Seele vergisst nichts, was je geschehen ist, es sei denn, es wurde wieder gut gemacht. Die Wiedergutmachung kann hier nur durch Ehrlichkeit erfolgen, durch das aufrichtige Eintreten für das „Wahre und Gute", das Mut erfordert und geistige Stärke, die bei uns allen nur Schritt für Schritt aufgebaut werden kann. Mit jedem Schritt in diese Richtung verlieren die Schuldgefühle ihre Kraft und lösen sich langsam auf - das ist die Erkenntnis aus langen Erfahrungen. So hat jedes Schuldgefühl sein eigenes Thema und der Weg zu einer Lösung leitet sich daraus ab.

Und eine besonders Mut machende Erfahrung soll noch den Schluss unserer Überlegungen zieren: Das Bedürfnis nach Wiedergutmachung kann ganz besondere Kraftquellen in uns und um uns herum wecken und freisetzen. Der Prozess von Schuld und Reue spornt unseren guten Willen an, er macht „harte Schalen" brüchig und den Weg frei in die tieferen Schichten unserer Tugenden, und er macht uns bereit, Hilfen anzunehmen, menschliche und die von „oben". Die Geschichten der Erde sind zwar übervoll mit Leid und Schuld, sie erzählen aber auch von wunderbaren Wegen und daraus möglicher Wandlung, von geistiger Größe und Hoffnung. Sie erzählen von einem Saulus, der sich an den Christen schuldig machte, der in Damaskus seine Verfehlung erkannte und als Paulus zu einem übermächtigen Streiter für die Christenlehre wurde; sie erzählen von einem Petrus, der seinen Herrn verleugnet hat und der sicher gerade auch deshalb zu einem besonderen Fels für die Christenheit werden konnte; und sie erzählen von einer Maria Magdalena, von einem Franz von Assisi und von unzähligen anderen solcher Beispielen. Es hat einen tiefen Sinn, diese Geschichten lebendig zu halten so lange wir sie benötigen. Sie wollen und sollen uns sagen, dass jeder von uns die gleichen Chancen hat, mit seiner Schuld ins Reine zu kommen.

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